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Interview mit dem Videokünstler Hagen Wiel und der Künstlerphilosophin Konstanze Schwarzwald über den Film "EXPERIMENTE DES LEIBES":


Sie beschäftigen sich ja seit einigen Jahren mit dem gemeinsamen Themenfeld von Kunst und Philosophie, wie es auch dieser Film „Experimente des Leibes“ zeigt. Wie würden Sie das Verhältnis von künstlerischem Ich oder Selbst und seiner Mitwelt, der Gemeinschaft, innerhalb seiner Kunst beschreiben? Ich frage nach dem Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft.

Selbst ist man von Geburt an Teil einer Gemeinschaft, des Denkens dieser Gemeinschaft und bewegt sich innerhalb derer. Um sich selbst begreifen zu können, ist es auch notwendig, die Gemeinschaft zu begreifen, um sich selbst betrachten zu können und herauszufinden, in wie weit man gesellschaftlicher Konsens ist und inwieweit man sich davon Selbst abheben kann. Der Chor, welcher im Film ja auch wiederholt auftaucht, ist im Gegensatz zum Individuum das, was ihm immer gegenübersteht, was bewertet und so auch verantwortlich ist für das Selbstbild, das sich ein Individuum innerhalb dieser Gemeinschaft machen kann. Der Chor gibt moralische Maßstäbe, Urteile ab, zu denen sich der Einzelne in seiner jeweiligen Haltung als Ethos verhalten muss. Er kann es unreflektiert als gegeben, als Gesetz annehmen oder es aber in seiner Individualität teilweise durchbrechen und so einen Weg für neue Gesetzmäßigkeiten schaffen.

Ihr Film heißt ja „Experimente des Leibes“. Welche Bedeutung hat der Leib für ihr Schaffen?

Jede ästhetische Hervorbringung geschieht zu erst körpervermittelt. Der Körper fungiert hierbei nur allzu oft zu Unrecht als notwendiges Vehikel der gedanklichen Schöpfung. Er wird reduktionistisch und vordergründig instrumentalisiert und vom Selbst getrennt wahrgenommen. Der eigene nicht zu leugnende körperlich-schöpferische Aspekt soll hier nun in den Vordergrund treten, in seiner Eigendynamik erfahrbar werden und sich in seiner Bewegung als Eigenmacht ästhetisch prophezeien. Diese leibliche Prophezeiung ist erst im Nachhinein rational deutbar.
Der Leib birgt intrapersonell verschiedene Ebenen des Selbst, die ständig bestrebt sind, sich zu vereinigen, um zur Ruhe zu kommen und daraufhin wieder über sich hinaus wachsen zu können. Dieses Zu-sich- Selbst-Kommen ist die Voraussetzung dafür, wieder auf verschiedenen Ebenen sich Stufe für Stufe weiter zu entwickeln und im steten Über-sich-hinaus-wachsen zu werden, der man ist. Weil man im Außersichsein, in ekstatischen Zuständen für sich nicht mehr sichtbar ist, ist man unsichtbar.
Es gibt aber etwas, das die eigene leibliche Persönlichkeit, das existenzielle Selbst, den Charakter, das Wesen des eigenen Lebens ausmacht und bleibt, das: Werde, der du bist! – als Kern des eigenen Lebens. Andererseits gibt es Zustände der Selbstgestaltung, des Experimentierens, sich in Frage stellens, des Vorwärts-Kommen-Wollens, eine Dynamik, die letztlich doch auf wiederum darauf abzielt, dem Eigenen näher zu kommen.

Sie gehen also v.a. auf eine individuelle Komponente der Selbsterfahrung ein. Steckt dahinter auch eine Gesellschaftskritik?

Wir sind auf dem Weg, wir hetzen als wären wir auf der Flucht vor uns selbst und rennen doch eigentlich davon. Was ängstigt uns am Verweilen? Warum versuchen wir immer nur Gas zu geben und niemals zu bremsen. Wann sind wir wirklich schnell? Innerhalb dieses „Höher, Schneller, Weiter!“ wird hier eine Zäsur gesetzt. Als Dilemma wird es immer empfunden, etwas von der Welt und damit von sich selbst zu verpassen. Hier soll als künstlerisches Prinzip eine Wahrnehmung jenseits des Seh-Bildes thematisiert werden und kann zunächst und konkret nur eine individuelle sein. Durch biographisch-lineare Erfahrungen bekommt man einen reduktionistischen Blick auf die Dinge und verhält sich vielleicht teilweise festgefahren ihnen gegenüber. Das Experimentieren stirbt ab. Das betrifft auch die Vorstellung von sich selbst. Man ist Frau, Mutter, Wissenschaftlerin ... Lebensläufe werden erschreckend vergleichbar. Das Prinzip Selbstbestimmung steht der scheinbar unumgänglichen Vorherbestimmung meines linear ablaufenden Lebens als Frau, als Mutter ... gegenüber. Der Lebenslauf wird so zum magnetischen Albtraum, zur vorherbestimmten Wahrnehmungsmaske, welcher ich mich nicht entledigen kann. Jeder Eindruck wird so zum Anblick.

In welchem Verhältnis stehen die Gefühle zu dem Leib des Individuums?

Immer wieder ist von der Reinigung seiner Selbst die Rede. Man spricht hier von einer gewissen Verschlackung, einem Ungleichgewicht der Körpersubstanzen. Erschrecken, Angst haben, sich Schämen, Verliebt sein, Erregt sein ... bringen den Körper zum Schwitzen und stellen somit in einem gewissem Sinne eine Art Reinigung dar.

Gefühle also als Reinigungsorgane?

Das innere Bild der Organe ist ein Einschnitt in mich selbst, das ich so nicht als Selbst empfinden kann. Doch man projiziert es auf mich bis zur Unerträglichkeit: diese fremde, weil rational vermittelte und erst im Anschluss ästhetisch kommunizierte Faszination. Die Funktionalität des Körpers steht meiner Eigenwahrnehmung gegenüber, da ich mich natürlich nicht nur als funktionierende Maschine, sondern mindestens auch als sowohl selbstreflektiertes als auch ganzheitliches Wesen wahrnehme, das natürlich grundlegend erst einmal auch Gefühle hat. Ich empfinde mich über bestimmte Einzelteile meines Körper, aber ich bin nicht darauf zu reduzieren. Ich muss nicht wissen warum ich Schmerzen habe oder Lustgefühle, warum meine Organe funktionieren. Sie tun es einfach. Rationales Wissen über bestimmte Körperfunktionalitäten verhindern allzu oft diese Funktionalität und lösen in zu starkem Nachdenken über körperfunktionale Abläufe auch Angst und anschließendes Versagen, Krankheiten aus.
Wir haben uns eigentlich gefragt: Wann hinterlassen wir einen leiblichen Abdruck unserer Selbst in der Welt? Hinterlassen wir dabei auch einen Eindruck oder ist es die bloße Form der körperlichen Gestalt, die wieder verweht wird wie das Gesicht, das man in den Sand gezeichnet hat? Transzendenz wird klassisch dem rationalen Denken zugesprochen, aber eine leibliche Transzendenz findet statt im Über sich selbst hinauswachsen, als Antrieb seiner Selbststeigerung, die das Bild, den Abdruck erst zum wirklichen Eindruck macht. So erst kann über den körperlichen Abdruck – eindruckvermittelt - ein leiblicher Ausdruck entstehen. Diese Aspekte lassen sich im Film ganz klar wiederfinden.

Sie experimentieren mit dem Motiv des Schattens in ihrem Film. Welche Bedeutung hat es für Sie?

Der Schatten hinter der Figur ist für sie unsichtbar – nicht existent - für sie. Doch im Experiment mit dem Licht, verändert sich die Position ihres Schattens, so dass er für sie nach und nach, mal länger mal kürzer sichtbar wird. Liegt er vor ihr deutet er ihr einen Weg, der sie unbewusst schon bewegte, als er noch hinter ihr lag. Er ist im Zusammenhang mit der Möglichkeit der Reflexion zum Vorschein- Schatten, zur Hoffnung „nach vorn“ geworden. Der Schatten im Rücken liegend ist ihre Erfahrung, die präreflexiv schon ihren Weg leitet. Liegt er als Bild ihrer selbst vor ihr, kann sie identifikatorisch damit umgehen. Ist sie nur dies Bild von sich? Oder weist er ihr einen Weg?
Außerdem: Wie kann man etwas , das scheinbar zu einem selbst gehört, wieder loswerden? Wie ein lästiger Schatten oder eine Eigenschaft, eine Schande, eine Scham, eine selbst wahrgenommene Krankheit, Leibesverstimmtheit, eine Abscheu, die man in sich trägt, etwas, das einen an sich selbst anwidert, durch Techniken der Bewegung des Körpers oder instinktive Körperbewegung? Ist das Schütteln ausreichend, um sich von einem „Ding“, das man auch selbst ist, zu befreien? Sie nimmt ihr affektives Schütteln und damit ihre Geworfenheit bewusst auf und treibt diesen Körperprozess so intensiv weiter zum selbstbestimmten Rauschzustand, also dem Entwurf.

In der Zusammenführung bzw. Identifikation von Kunst und Philosophie innerhalb der sehr komplexen Problematik des Filmes liegt ja offensichtlich auch die Idee einer existenziellen Grundlegung des Gefühls vor jede Rationalität. Welches Gefühl bzw. welcher Sinn ist ihrer Meinung nach der Stärkste?

Dass wir in der Grundlage für jede Rationalität die Existenziale bzw. Stimmungen sehen – an Heideggers Werk „Sein und Zeit“ anschließend, ist richtig. Dafür gibt es in den aktuellen Leipziger philosophischen und künstlerischen Debatten über den Leib und eine Philosophie des Leibes auch einen Begriff, der das alles wunderbar trägt: der Begriff des Empraktischen. Wer sich dafür interessiert, dem können wir gerne unser Buch mit dem gleichnamigen Titel "Experimente des Leibes" empfehlen, welches beim Lit-Verlag erschienen ist.
Also, Erinnerung funktioniert z.B. oftmals viel intensiver über den Geruchssinn als über den momentan sehr favourisierten Sehsinn. Über den Geruchssinn erinnert man sich instinktiv, vor-BILD-los und prärational. Die Nase ist demnach eines der wichtigsten körperreflexiven Wissensorgane.

Heidegger war ja v.a. auch ein großer Frage-Philosoph und gab nicht auf die schwierigsten Probleme der Philosophie formelhaft Antworten. Welche Fragen standen für Sie bei der Erarbeitung des Projektes im Vordergrund?

Das waren viele oder sagen wir so, es waren viele Teilfragen, die aber unser Thema alle betrafen, wie z.B.: Was heißt es, sich selbst erreichen zu wollen? Wie ist es möglich auf sich selbst zuzugehen? Wohin muss ich gehen, um bei mir anzukommen?

Der Leib war bei dem Nachgehen dieser Fragen der Hauptdarsteller?

Ja, denn grundlegend ist für diese Form des Selbst-Experimentes, sich selbst spüren und sich über seinen Körper, seine Leiblichkeit damit kennenzulernen. Der Körper und seine Funktionalität als unmittelbares und befreiendes Rauschmittel, das wiederum Kraft zur rationalen Reflexion gibt. Mit dem Körper und dem Verstand „denken“. Sich für einen Moment mit dem Körper um den Verstand denken, um sich zu entrücken und sich von der ewigen Differenz zwischen Denken und Körper zu befreien. Der Selbst-rausch, die Autoerotik als Mittel, um wieder klar zu werden.
Wenn die Verbalsprache den Ausdruck dessen, was wirklich gemeint ist, nicht explizieren kann, treten in der Kommunikation Gestik und Mimik, eine Körpersprache hinzu. Eigentlich tritt sie nicht „hinzu“, sondern begründet die verbalsprachliche Kommunikation. Der Körper sagt oft viel mehr, als es Worte und Begriffe je aussagen könnten und Menschen verstehen sich eher über die bestimmte Haltung und die Gestik, die sie leiblich ihrem Gegenüber entgegenbringen. Ein natürlicher Schaffens- bzw. Zeugungsstau wird leiblich entwickelt bishin zu einer Lust, welche nach einem Moment des Ausbrechens verlangt. Dieser Stau wird selbst zur zentrierten spürbaren Leibeswahrnehmung welche, sich bis zum Krampf steigernd, die leibliche Gesamtaufmerksamkeit einfordert. Unfähig zu arbeiten, sich auf irgendetwas zu konzentrieren, kommt es zu einem unbedingten Wollen-Müssen bzw. Müssen-Wollen. Hier etabliert sich eine leibliche Notwendigkeit mit diesem Zustand, mit sich als Lust-Leib umzugehen und Körpertechniken der Selbststeigerung bis zur Entspannung zu vollziehen. Es entsteht ein Paradox: aus der scheinbaren Energielosigkeit der Post-Ekstase bzw. dem wieder neu beginnenden Zyklus in welchem dann wieder wohl-wissentlich neue Kräfte der Produktivität, der Rationalität und dem Willen zur Selbstermächtigung entstehen. Der Leib fordert eine unbedingte Reaktion ein und er verlangt, diese zum Schmerz gewordene Lust, zu befriedigen, um seinem natürlichen Anspruch weiterhin gerecht zu werden.
In einer zweiten Ebene einer Betrachtung dieser Szene stellt sich die Frage, warum normalerweise die Vorstellung vorherrscht, dass notwendig ein zweiter Körper oder gar Menschen als Objekt der Selbstlust vonnöten ist. Ist es möglich ein Anderes meiner Selbst als Objekt meiner Lust zu etablieren?

Die Person in ihrem Film beschäftigt sich ja ausschließlich mit sich selbst. Was haben Sie sich beispielsweise bei dem Motiv des Selbststreichelns gedacht?

Sie reibt sich selbst ab. Sich selbst Abreiben ist ein intensiverer Zustand als der des sich selbst Streichelns. Es könnte mit dem Sich selbst streicheln begonnen haben. Vielleicht setzt die Bewegung aber in dieser aggressiveren Form der Selbstberührung ein. Es ist ein Sich selbst abstoßen und sich selbst spüren wollen. Was heißt es, wenn man sich selbst abreiben, jeden Winkel seiner Haut als Ganzheit der leiblichen Spürbarkeit, den Sinnen zugänglich machen will? Reibt man sich an sich selbst auf oder ist es eine Umgangsform mit sich, um sich von der Umwelt abzuschotten? Sich selbst in dem vielen auch noch selbst wahrnehmen zu können? Verzweiflungsakt oder Nähe- und Sehnsuchts- selbstmodellationsbedürfnis?

Wie ist es mit dem Verhältnis von Einzel(Körper)Teil und Ganzheit der Person?

Kann ich mich als Selbst im Anblick einzelner Körperteile von mir „objektiv“ als Gesamtkörper wahrnehmen bzw. als EIN Bild sehen? Was ist mit dem Verdeckten, dem, das sich meinem unmittelbaren Blick in diesem Augenblick entzieht? Es gibt etwas Leibliches als Fundierung, die diese vermeintlichen anatomischen Einzelteile als Ganzes konstituiert. Auch wenn ich also in der momentanen Perspektive nur einen Teil meiner Hand sehe, nehme ich sie als Ganze wahr und sie ist nicht abgetrennter Körperteil, der sich in meinem Blick befindet, sondern momentaner Blickpunkt des authentischen Leibes, der ich Selbst bin. Die Bildperspektive wird von den anderen Sinnen mit existenzieller Selbstwahrnehmung untermauert. Die Fragmentierung der Körper beginnt mit der Begrifflichkeit: Hand, Mittelfinger, Handknochen usw. Sie entwickelt sich weiter in der modernen Medizin und gipfelt in modernen Medien, die den Körper in zerstückelter Weise darstellen bzw. als Bild inszenieren. Dass sie trotz Selbstgefühl nicht mehr ganz beisammen ist, wird ihr in dieser Szene bewusst.

Hat der Film etwas mit der Metapher der Geburt zu tun?

Dargestellt wird die individuell-existenzielle Erfahrung, sich als selbstentwerfendes Wesen aus dem kamellastigen Ballast seiner Herkunft mit einer hoffnungsvollen Utopie der zukünftigen Existenz zu befreien und so als selbstbestimmtes Individuum zu konstituieren. Das Künstler-Selbst, als Lebenskünstlerselbst, als Selbstmacht wird geboren, wenn man sich aus den Strukturen der Erziehung, der Wir- Gemeinschaft befreit und diese zwar noch als Handwerkszeug nutzt, aber sich nicht von ihnen das Konzept des eigenen Entwurfes vom Leben vorschreiben lässt. Die Ebene des Gedächtnisses, als Faktenspeicher wird verlassen und Er-Innerung als Wendepunkt zur Konzentration auf das Eigene wird geboren.